02.07.2025 -
„Die Unsicherheit um die US-Zollpolitik und die geopolitischen Spannungen werden nicht nur das zweite Halbjahr 2025 bestimmen“. Helen Windischbauer, Leiterin Multi Asset Solutions bei Amundi Deutschland und Thomas Kruse, CIO bei Amundi Deutschland, zeichnen im Ausblick zur Jahresmitte ein differenziertes Bild und ordnen ein, welche Entwicklungen sie erwarten und wie sich diese auf die Portfoliostrategie auswirken können.
Herr Kruse, welche globalen und übergreifenden Szenarien sieht Amundi für das zweite Halbjahr?
Thomas Kruse: Der erste Trubel hat sich schon ein wenig gelegt, aber die Zölle und der fiskalpolitische Mix werden die Hauptthemen im zweiten Halbjahr bleiben. Am 9. Juli wird es voraussichtlich eine Einigung, bzw. ein Ergebnis für die Zölle zwischen Amerika und Europa geben – aber das kann natürlich in zwei verschiedene Richtungen laufen.
Was die Zölle betrifft, geht der Markt tendenziell davon aus, dass wir auf dem momentanen Niveau verharren. Wir haben drei Szenarien entwickelt, von denen wir das Hauptszenario mit einer Wahrscheinlichkeit von 70% sehen. Hier würden die Zölle auf der derzeitigen Höhe bleiben, so dass ein unterdurchschnittliches Wachstum mit hartnäckiger Inflation einkommensschwache Segmente treffen würde. In der Konsequenz zahlt also zuerst der amerikanische Konsument die erhöhten Preise.
Ausgehend von diesem Szenario: Wie wird sich diese Entwicklung auf das globale Wachstum auswirken?
Thomas Kruse: Für die USA gehen wir trotzdem von einem positiven Wirtschaftswachstum aus. Es wird zwar deutlich unter den Werten des vergangenen Jahres liegen, aber wir rechnen für die beiden kommenden Jahren mit jeweils 1,6%. Für die Eurozone erwarten wir ein Plus von 0,8% im Vergleich zum Vorjahr. Das gesamte Weltwirtschaftswachstum sehen wir bei knapp 3%, wobei die Emerging Markets hier die Treiber sind.
Natürlich wird der Zollkonflikt auch die Inflation antreiben und wir erwarten für die USA jetzt 3,1% und im nächsten Jahr immerhin noch 2,9%. Das ist weit weg von den Zielen der FED. Für Europa bleiben wir in etwa bei unseren Prognosen vom Jahresanfang und damit bei einem Inflationsziel von 2,1%, im nächsten Jahr sogar leicht darunter mit 1,9%.
Frau Windischbauer, was heißt das für die Anlagestrategie?
Helen Windischbauer: Wir haben ja deutlich gesehen, dass die aktuelle Situation zu einer anhaltend hohen Volatilität bei den US-Staatsanleihen führen wird. Und das Gleiche gilt auch für den Dollar. Deshalb raten wir unseren Kunden aktiv zu Alternativen mit einem besseren Ertrags- und Risikoprofil. Diese finden wir zum Beispiel in Anleihen aus Europa und den Emerging Markets. Europas Fokus auf strategische Autonomie eröffnet auch Aktienanlegern langfristige Chancen, vor allem bei Mid Caps und im Sektor Verteidigung.
Aktien werden von der Neuordnung des Welthandels profitieren. Angesichts der nach wie vor hohen Konzentrationsrisiken und der hohen Bewertungen von US-Mega-Caps sollten sich Anlegerinnen und Anleger mit neuen Themen aus der globalen Neuausrichtung, der veränderten Politik und der Neugestaltung der Lieferketten befassen. Generell sehen wir Indien und Indonesien als langfristige Gewinner dieser globalen Neuausrichtung und erwarten, dass die Schwellenländer besser abschneiden als die Industrienationen.
Übergreifend ist es wichtig, die Portfolien mit Real Assets und alternativen Anlagen zu diversifizieren. Diese Vermögenswerte sind in einer Welt hoher Unsicherheiten und Inflationsrisiken von entscheidender Bedeutung. Da aber das investierte Kapital in diesen Segmenten sprunghaft ansteigt, ist eine hohe Selektivität notwendig.
Kommen wir nochmal zu Ihrem Ausgangspunkt zurück. Wie schätzen Sie die Entwicklung festverzinslicher Wertpapiere ein?
Helen Windischbauer: Die Versteilerung der Zinsstrukturkurve wird sich fortsetzen. Wir sehen auf den Märkten für Staatsanleihen die Gefahr einer höheren Verschuldung und einer möglicherweise steigenden Inflation. Dabei wird die Volatilität voraussichtlich hoch bleiben, zumindest bis mehr Klarheit über die weitere Entwicklung besteht. Entsprechend gehen wir davon aus, dass Anleger in der Folge höhere Aufschläge für langlaufende Anleihen verlangen werden. Im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre erwarten wir für festverzinsliche Wertpapiere attraktive Renditen.
Was sind die wesentlichen Auswirkungen auf Investitionen?
Helen Windischbauer: Die steileren Zinskurven und die Zinsvolatilität bieten Möglichkeiten zur Diversifizierung in europäische Anleihen, also Bundesanleihen und Anleihen aus Peripherie-Ländern, die durch den Wachstums- und Inflationsmix begünstigt werden. Und, scheinbar banal, aber wichtig: Qualität. Wir setzen weiterhin auf Qualitätsanleihen, vor allem auf Euro Investment Grade sowie Finanz- und nachrangige Unternehmensanleihen. Zudem ist ein globaler und flexibler Ansatz wichtig: So können die Chancen der Renditekurve genutzt werden, um über Märkte in Industrie- und Schwellenländern zu diversifizieren und einen flexiblen Durationsansatz beizubehalten.
Wo finden Aktien in der globalen Neuausrichtung ihren Platz?
Helen Windischbauer: Für Aktien bleiben wir positiv, auch wenn sich im zweiten Halbjahr die Volatilität an den Aktienmärkten noch steigern könnte und es weiterhin das Risiko eines Zollschocks gibt. Das schätzen wir aber nicht als sehr hoch ein. Die größten Chancen für Anleger liegen in der Sektorauswahl. Es liegt in der Natur von Zöllen, dass sie einigen Sektoren zugutekommen und andere benachteiligen. Wir gehen davon aus, dass die Stil- und Sektordivergenz zunehmen wird. Wir bevorzugen inländische und dienstleistungsorientierte Sektoren, um die Auswirkungen der Zölle abzumildern. Wir sind etwa positiv für europäische Mid Caps, gleichgewichtete US-Aktien und dividendenstarke Aktien in Japan.
Gerade für europäische Small und Mid Caps ist es ein günstiges Umfeld. Weitere Zinssenkungen der EZB werden die Konjunktur beflügeln und die Marktstimmung verbessern. Es ist nicht zu optimistisch, dementsprechend von einer Stärkung des inländischen Konsums im Euro-Raum auszugehen. Außerdem überzeugen die Bewertungen in relativer und absoluter Hinsicht. Global gesehen sticht auch bei den Aktien wieder Indien hervor. Hier sind wir positiv, während wir gegenüber China oder Südkorea neutral eingestellt sind.
Frau Windischbauer, Herr Kruse, vielen Dank für Ihre Einschätzungen!
Rechtliche Hinweise
Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 30.06.2025. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.