Das Wort von »Europa der zwei Geschwindigkeiten« macht die Runde, gerne erweitert zum »Europa der mehreren Geschwindigkeiten«. Unterschiedliche Staaten Europas bilden quasi konzentrische Kreise, die sich in ihrer Integrationsbereitschaft und -geschwindigkeit unterscheiden.
Eine Einordnung dieser Konzepte fällt nicht leicht: Sind es Rettungspakete gegen den befürchteten Zerfall der EU, oder sind es Versuche, den populistischen Renationalisierungsbefürwortern entgegen zu treten oder schaffen sie in Perspektive eine – zumindest aus wirtschaftlicher Sicht – wünschenswerte weitergehende Integration? Geht es also defensiv um zumindest die Bewahrung des Status quo oder offensiv um Konzepte für ein Mehr an Europa?
Ein Blick in die Geschichte aus der geronnenen Europapolitik von gestern mag helfen, diese Überlegungen einzuordnen. Enge Handelsverflechtungen, Aussöhnungsbestrebungen nach den beiden Weltkriegen und gemeinsame außenpolitische Interessen, das waren und sind Grundelemente der deutsch-französischen Freundschaft. Diese bildete wiederum die Grundlage für die fortschreitende Integration in Europa, auch über diese beiden Länder hinaus. Und wer weiß, ob de Gaulle und Adenauer eine Volksabstimmung über ihre damalige europäische Vision in den 60er Jahren gewonnen hätten. Sie aber haben den Grundstein dafür gelegt, dass aus verhassten Kriegsgegnern eine unvergleichliche Zusammenarbeit nicht nur zwischen den Regierungen, sondern auch zwischen den Gesellschaften entstehen konnte. Die zahlreichen Begegnungen im Rahmen der Jumelage von Städten und Gemeinden sowie Jugend- und Schüleraustauschprogramme haben zu individuellen wie auch gesellschaftlichen Verbindungen geführt, aus der eine Freundschaft auf verschiedenen Ebenen gewachsen ist, also jene amitié franco-allemande als Kern und Treiber der europäischen Entwicklung.
Ein ähnlich mutiges, vorausschauendes Vorangehen von Frankreich und Deutschland heute, das wäre wünschenswert, um die nächste Phase der europäischen Weiterentwicklung zu prägen. Dass in beiden Ländern richtungsweisende Wahlen anstehen, spricht nicht dagegen, sondern verstärkt die Bedeutung dieser Forderung. Das Programm des aussichtsreichen französischen Präsidentschaftskandidaten, Emmanuel Macron, weist deutlich in diese Richtung. In seinem »Vertrag mit der Nation« legt er seine Vorstellungen über eine stärkere militärische und politische Zusammenarbeit in der EU dar.
Oder wie es die deutsch-französische Journalistin Cécile Calla in einem Artikel in der »Zeit« formuliert: »Obwohl 2017 in Deutschland Bundestagswahlen und in Frankreich Präsidentschaftswahlen stattfinden, dürfen Paris und Berlin der populistischen Versuchung nicht nachgeben. Sie müssen gemeinsam politisch Mut beweisen.« Maintenant c’est l’occasion de mettre en marche le moteur de l’amitié franco-allemande.