Janus ist in der römischen Mythologie der Gott des Anfangs und des Endes. Er hat zwei Köpfe (daher der Beiname Biceps), von denen je einer nach vorne und nach hinten blickt. Die schöne Nymphe Cardea wusste davon offensichtlich nichts. Sie machte sich gewöhnlich einen Spaß daraus, ihren Verehrern die schönsten Hoffnungen zu machen, indem sie sie aufforderte, schon mal vorauszugehen an einen geeigneten Ort im Hain. Während diese vorangingen und Cardea aus den Augen ließen, verschwand sie irgendwo allein im Gebüsch und freute sich an den frustrierten Gesichtern der erfolglosen Freier. Als nun Janus sich bei Cardea einstellte, funktionierte der Trick nicht, er sah ihr Versteck, aus Spaß wurde Ernst und sie musste ihn zum Mann nehmen. Seither ist Janus auch der zweigesichtige Gott der in ihr Gegenteil umschlagenden Situation; der anderen Seite der Medaille.
Janus hätte am Zustand der Finanzmärkte dieser Tage seine helle Freude.
Anleihen standen einmal für ein auskömmliches und regelmäßiges Einkommen aus Couponzahlungen – langweilig und berechenbar. Sie waren damit das Gegenstück zu den Aktien, die man um ihrer Kursbewegung willen kaufte, wobei die Dividende allenfalls ein Zubrot und ein Puffer war. Dieses Verhältnis hat sich aber umgekehrt: Anleihen werfen nichts mehr ab, kommen häufig ohne Coupon und wer sie kauft, kann einzig auf den Kursgewinn hoffen, will er eine Rendite erwirtschaften. Aktien hingegen haben heutzutage oft genug eine auskömmliche Dividendenrendite, die nun dem Aktionär verschafft, was ursprünglich das Ziel des Anleihenbesitzers war: Ein stabiles Einkommen.
Ein Blick in die Geschichte veranschaulicht das Problem für den Investor, bietet aber auch Trost. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Dividendenrenditen durchwegs höher als die Zinsen der Festverzinslichen, denn die Investoren verlangten für das Risiko, in Aktien zu investieren, eine Kompensation in Form hoher Dividenden. Da Anleihen weniger riskant waren, zeigten sich die Investoren mit geringeren laufenden Zahlungen zufrieden. Erst Ende der 1950er-Jahre zeigte der Markt auf einmal ein anderes Gesicht – als wäre er ein göttlicher Biceps – und die Verzinsung der 10-jährigen US-Staatsanleihen lag plötzlich über der Dividendenrendite des Aktienmarktes. Die allgemeine Auffassung war nun: Da die Aktien die Anleger mit Kursgewinnen zufriedenstellen, sind Dividenden nicht so wichtig. So blieb es auch für die nächsten 50 Jahre, bis sich im Zuge der Finanzkrise die Sicht der Dinge abermals änderte und von den Aktien wieder ein höheres Einkommen verlangt wurde. Die Risikoprämie, wie es im Jargon heißt, war für Aktien deutlich gestiegen.
Symbol des Problems ist die Menge der mit Null oder gar negativ verzinsten Anleihen. Rentenpapiere im Umfang von 13,3 Billionen Dollar werfen heute keinen Zins mehr ab (sogar kurzlaufende griechische Staatsanleihen sind negativ verzinst – dass ich das noch erleben darf!). Die Kursbewegung spielt dadurch eine immer größere Rolle. Seit Jahresanfang hat der Bloomberg Barclays Global Aggregate Index um 6 Prozent zugelegt, obwohl seine laufende Verzinsung lediglich bei 1,37 Prozent liegt. Das regelmäßige Einkommen spielt bei den Anleihen kaum noch eine Rolle. Das bedeutet übrigens nicht, dass Anleihen heute kein gutes Investment mehr sind. Die Zentralbanken in Europa, den USA und Japan kaufen weiter Zinspapiere, sodass die Nachfrage so bald nicht einbrechen wird.
Anleihen taugen aber immer weniger dazu, innerhalb eines Portfolios für den Risikoausgleich zu sorgen.
Ohne Zins sind Anleihen volatiler und der Kauflaune der Zentralbanken sowie der Entwicklung des Zinsniveaus ungebremst ausgesetzt. Damit steigt auch ihre Korrelation zum Aktienmarkt und ein gemischtes Portfolio muss heute stärker schwanken. Janus zeigt damit sein ungemütliches Gesicht. (Anmerkung für Fortgeschrittene: Durch den Wegfall des Coupons erhöht sich auch die Duration bei gleicher Laufzeit; es steigt damit sogar das "kapitalmarkttheoretische Risiko" der Anleihen).
Unter dem Risikoaspekt sehen Aktien heute gegenüber Anleihen relativ attraktiv aus. Die satten Dividenden bilden einen Risikopuffer und haben in der Vergangenheit in volatilen Märkten immer für eine Dämpfung der Kursschwankungen gesorgt. Das bedeutet zwar nicht, dass Aktien die neuen Anleihen sind. Und ja, es kann jederzeit zu einem Kursrutsch bei Dividendentiteln kommen. Aber die Wahrscheinlichkeit, lange warten zu müssen, bis man sein Geld wieder sieht, ist in beiden Asset-Klassen mittlerweile ähnlich hoch, denn auch am Rentenmarkt kann es zu einem Crash kommen. Doch mit Aktien wird der Anleger für das Risiko, das er eingeht, besser bezahlt.
Wer heute auf ein Einkommen angewiesen ist (wie etwa viele Stiftungen), muss sich mit Aktien befassen. Ein Korb mit Aktien von BASF, Novartis, Siemens, Johnson & Johnson, Münchener Rück, BMW und Veolia bringt voraussichtlich eine bequeme jährliche Dividendeneinnahme von 4 Prozent im Jahr – was nicht zu verachten ist in einer Zeit negativer Zinsen.
Und überhaupt wirft dies einmal mehr die Frage auf, was heute überhaupt noch Risiko bedeutet. Bis in die 1970er-Jahre verstand man unter einem risikoreichen Portfolio eines, das hoch bewertet war –relativ zum intrinsischen Wert der Unternehmen. Kaufe ich eine Aktie zu 100, habe ich ein höheres Risiko, als wenn ich sie bei 50 erwerbe. So sieht man das aber heute nicht mehr. Der Risikobegriff hat sich grundlegend gewandelt. Risiko wird heute im Wesentlichen mit Volatilität gleichgesetzt: Ein risikoreiches Portfolio ist heute ein solches, das stark schwankt, egal wie teuer oder billig es ist. Und – so die Theorie weiter – ein Portfolio mit höherem Risiko muss auch zu einer höheren Rendite führen, denn die Rendite kompensiert den Anleger für das eingegangene Risiko.
Nun finden wir uns in einer Situation wieder, in der die Anleihemärkte ebenfalls stark schwanken werden, auf Fünf- oder Zehn-Jahres-Sicht aber wahrscheinlich eine erheblich schlechtere Wertentwicklung haben werden als ein sehr großer Teil der Aktienmärkte. Und dennoch kaufen viele Anleger 10-jährige deutsche Staatsanleihen mit einer Verzinsung von -0,5% pro Jahr, weil ein Risikomanager oder eine Software vorschreibt, dass sich damit das Risiko im Portfolio verringern ließe. Ich verstehe diese Risikoauffassung, sehe sie aber nicht ein. Mich würde es daher nicht wundern, wenn die Risikoauffassung sich erneut ändert und zum Fokus auf den inneren Wert einer Investition zurückkehrt. Wünschenswert wäre es allemal.
Bis es so weit ist, bevorzugen wir Aktien mit einem ähnlichen Auszahlungsprofil wie Anleihen.
Wenn eine Firma eine gute Bilanzqualität, ein solides Geschäftsmodell und eine vernünftige Dividende vorweist, sind wir mit der Aktie voraussichtlich deutlich besser bedient als mit jeder deutschen Staatsanleihe. Das Risiko ist hier überschaubar und der Ertrag vermutlich auskömmlich. Das ist, als würden beide Gesichter des Janus lächeln.
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