07.07.2022 -
- Inflationsdaten bleiben hoch
- Stimmung in der Industrie besser als beim Verbraucher
- Marktteilnehmer stellen sich auf Rezession ein
Das erste Halbjahr 2022 hatte wenige Lichtblicke zu bieten. Betrachtet man die Kurse an den Renten- und Aktienmärkten, schaut man mehrheitlich auf tiefrote Zahlen. Lediglich Ölproduzenten und Währungen sind in der Breite noch geeignet, ein Lächeln auf das Gesicht des in Euro rechnenden Anlegers zu zaubern.
Mit den steigenden Zinsen in Europa und den USA spielen die Bewertungen der einzelnen Unternehmen wieder eine Rolle – Titel mit hohen Kursgewinnverhältnissen (KGV) und Verschuldungsgraden müssen sich rechtfertigen. Die aufkommenden Rezessionsängste sorgen dafür, dass selbst günstigen Bewertungen mit Misstrauen begegnet wird. Denn ein heute niedriges KGV verliert seinen Reiz, wenn die Gewinne morgen verfallen.
Titelselektion erfolgt differenzierter als beim Covid-19-Absturz
Entsprechend vorsichtig agieren viele Marktteilnehmer insbesondere in den letzten Wochen. Vermeintlich defensive Branchen wie Versorger, Telekommunikation und Basiskonsumgüter sind gesucht, Zykliker werden eher gemieden. Diese differenzierte Vorgehensweise steht in starkem Kontrast zu den Marktbewegungen im März und April 2020, als aus Furcht vor den wirtschaftlichen Konsequenzen von Covid-19 unisono alles verkauft wurde. Als Folge hieraus finden Strategien, die darauf zielen, Marktrisiken anhand von Kennzahlen wie dem Value at Risk zu minimieren, wieder einen Ansatzpunkt und haben sich in den zurückliegenden Wochen vergleichsweise gut geschlagen.
Doch ändert das nichts daran, dass die Aussichten in den kommenden Monaten zunächst trüb bleiben werden. So hat das Verbrauchervertrauen in Deutschland wie den USA Tiefpunkte erreicht, die es seit mehr als 20 Jahren nicht gab – und das bei noch ausgesprochen stabilen Arbeitsmärkten. Wie weit würde das Vertrauen erodieren, wenn auch noch der eigene Arbeitsplatz verloren ginge?
Einkaufsmanager relativ gelassen
Vergleichsweise positiv sind hingegen (noch) die Einkaufsmanager gestimmt. Dazu tragen sicherlich die vollen Auftragsbücher in vielen Branchen bei, die es zudem erlauben, bei Neubestellungen die höheren Kosten weiterzugeben. Doch wenn keine neuen Bestellungen eingehen, wenn die z. B. in der Chip-Industrie in Angriff genommenen Kapazitätserweiterungen vollendet sind und künftig auf eine nur gleichbleibende oder gar sinkende Nachfrage treffen, könnte auch das zu einer Neubewertung führen.
Insofern sehen einige Marktteilnehmer eine Rezession aufziehen und verweisen auf die bekannte Formel „Cash is king“. Bei hohen Inflationsraten vermag aber Kassenhaltung die Schmerzen nur zu lindern. Wer sich das Feld der derzeitigen Belastungsfaktoren anschaut, sieht zudem, dass vieles von Menschenhand gemacht ist. Zuvorderst gilt das für den von Wladimir Putin initiierten Ukraine-Krieg. Zwar gibt es dafür derzeit wenig Anzeichen, doch wenn der russische Autokrat genauso plötzlich den Krieg beendet, wie er ihn begonnen hat, dürfte das eine umfangreiche Erleichterungs-Rallye an den Aktienmärkten und einen ebenso starken Einbruch an den Öl- und Gasmärkten verursachen. Eine vollständige Abkehr vom Aktienmarkt sollte man sich deshalb gut überlegen – in jedem Fall ist aktuell ein taktisches und ausgesuchtes Vorgehen am Markt eher erforderlich, als das in der jüngeren Vergangenheit mit durchweg expansiven Notenbanken gegeben war.
Je entfernter, desto lieber
Es ist festzustellen, dass das Interesse an Märkten zunimmt, je weiter sie vom Kriegsgebiet in Europa entfernt liegen. Das trifft auch und gerade auf einige Märkte im asiatisch-pazifischen Raum zu. In Japan hält die Notenbank an ihrer expansiven Geldpolitik bei vergleichsweise moderater Inflation fest. Das schwächt zwar den Yen, verbessert aber die Exportchancen und kann den Aktienmarkt stützen.
In China bleiben etwaige weitere Lockdowns sowie die Konsequenzen aus der zunehmenden Gängelung der eigenen Unternehmen ein Risiko – doch China verfolgt im Gegensatz zur westlichen Welt eher einen Lockerungskurs, um die bislang unter Plan gebliebenen Wachstumsziele zu erreichen, und kann sich das angesichts vergleichsweise komfortabler Inflationsdaten auch leisten. Insofern kann der chinesische Aktienmarkt sich möglicherweise besser aus der Affäre ziehen als seine westlichen Wettbewerber.
Die Anlagen in fremden Ländern bieten dabei die Chance, nicht nur vom dortigen Aktienmarkt, sondern auch von den Wechselkursentwicklungen gegenüber dem Euro zu partizipieren. Denn während die EZB es bislang lediglich in der Ankündigung einer verschärften Zinspolitik zu weltmeisterlichen Ehren gebracht hat, handeln die Notenbanken anderer Länder mit Blick auf die eigenen Leitzinsen deutlich beherzter. Wohl dem, der deshalb zwar im Euro rechnet, aber auch Devisen sein Eigen nennt.
Finden Sie hier weiter Informationen zu SIGNAL IDUNA AM.