Auf den schnellsten Börseneinbruch (im März) folgte die schnellste Börsenerholung der modernen Wirtschaftsgeschichte. In der letzten Woche dann Ernüchterung: Die Angst vor einer zweiten Welle mit neuen Ausbrüchen in China und einer unübersichtlichen Virus-Lage in den USA enden in tief roten Kursnotierungen.
Die Börsen hatten die Lockerung der Lockdown-Maßnahmen zuvor antizipiert. Die Aufholjagd an den Märkten hatte sich im Mai nochmals akzentuiert. Obwohl sich die Realität in großen Teilen der Realwirtschaft aktuell düster zeigt. Von der Panik im März war nur noch wenig zu spüren. Der historische Schwall von den Notenbanken ins System gepumpter Liquidität und die Angst die Rally zu verpassen beherrschten die Märkte.
Viele Markt-Indikatoren hellten sich auf:
- sinkende Volatilitäten
- Einengung der Spreads bei Corporate Bonds (HY und IG)
- Entspannung beim USD (EUR und rohstoffabhängige Währungen, wie der AUD, werten wieder auf)
- breitere Partizipation an der Hausse (inkl. small & mid caps und Erholung in Europa).
- eine massive und extrem schnelle Sektorenrotation (Nachdem Medizintechnik-Unternehmen, vor allem jene mit Corona-Bezug, monatelang zu den relativen Gewinnern zählten, gab es für den Sektor mitunter gar Verluste zu verbuchen, wenn Aktienmärkte stiegen. Die Gewinner waren nun zyklische Aktien (auch solche mit schwächeren Bilanzen oder Finanzwerte).
Während viele Unternehmen ums Überlegen kämpfen, betreiben andere schon wieder altbekannte, oft fremdfinanzierte, Kurspflege: Aktienrückkäufe in den USA seit Jahresbeginn bereits wieder über USD 220 Mrd. (vs. USD 395 Mrd. bis Ende Mai in 2019).
Dabei werden nicht-Corona-Risiken weiter weitgehend ignoriert. So auch politische Risiken wie die weiter steigenden Spannungen zwischen USA und China, die aktuellen Ausschreitungen in USA oder die gestiegene Gefahr eines harten Brexits.
Warum kann die Börse so stark steigen, wenn die Weltwirtschaft doch so fragil ist?
Für die Börse ist entscheidend, wie die Einschätzung der Konjunktur und der Unternehmensgewinne für die nächsten 9 bis 12 Monaten ausfällt. Märkte gehen dabei nicht unbedingt von einer schnellen V-Shape-Erholung auf breiter Front aus. Viel mehr bereiten sie sich auf „Managed Markets“, eine Notenbankpolitik auf neuem Level sowie auf ungesehen massive Fiskalprogramme (und Staatsverschuldung) vor. Nicht eine Fortsetzung, sondern eine Verstärkung der nach der Finanzkrise (2008/2009) eingeführten, neuen Mechanismen („The new Normal“). Einhergehend mit extrem niedrigen Zinsen und einem zeitlich und umfangsmäßig unbegrenztem Eingreifen in den Markt durch Notenbanken – die nun auch Junkbonds und bald, wie in Japan, auch Aktien kaufen. Das bedeutet eben auch eine niedrigere Renditeerwartung und damit höhere Vermögenspreise – eine Vermögenswertinflation 2.0. Allein die US-Notenbank Fed bläht Ihre Bilanz um rund USD 3 Bio. auf USD 7 Bio. auf. Diese Zinslandschaft macht es für viele Anleger zunehmend unmöglich langfristig in Anleihen zu investieren. Wenn zum Beispiel zehnjährige Bundesanleihen zwischen -0.3% und -0.8% rentieren, dann weisen sie ein völlig asymmetrisches Chancen-Risiko-Profil auf. Auch bei Unternehmensanleihen gibt es entsprechende Gewinner.
Mit dem herkömmlichen Verhalten der Börse als Vorlaufindikator für die Konjunktur hat das natürlich nur bedingt zu tun. Ausgehend von den heutigen Werten wird sich die Wirtschaft in den nächsten Monaten zum Teil deutlich erholen (in einigen Branchen wird es zu V-Shape-Erholungen kommen, in einigen zu so genanntem „Revenge-Shopping“), doch ob in den nächsten 3 bis 4 Quartalen das Vorkrisenniveau erreicht werden kann bleibt nach wie vor offen. Für höhere Aktienkurse ist das aber auch nicht unbedingt notwendig.
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