Nach einer Berg- und Talfahrt an den Kapitalmärkten in 2015 startete das Jahr 2016 nicht weniger nervenaufreibend. Der deutsche Leitindex DAX eröffnete das neue Jahr mit einem satten Tagesverlust von 4,28% und verzeichnete damit den schlechtesten Auftakt seit 28 Jahren. Auch an den Folgetagen setzten sich die Kursverluste fort. So fiel das deutsche Börsenbarometer erstmals seit Oktober wieder deutlich unter die 10.000-Punkte-Marke. Aber nicht nur in Deutschland gerieten die Notierungen ins Trudeln, auch andere Aktienmärkte weltweit mussten zum Teil erhebliche Verluste hinnehmen. Von den Turbulenzen profitieren konnten lediglich die Rentenmärkte sowie der Goldpreis, der im Januar wieder über 1.100 US-Dollar je Feinunze stieg. Unsere "Kernprognose", auf eine noch volatilere Anlagewelt zuzusteuern, scheint sich bereits in den ersten Handelswochen als richtig herauszustellen.
Grund für die Katerlaune am Aktienmarkt ist wieder einmal China. Schwächer als erwartet ausgefallene Einkaufsmanagerindizes haben erneut Wachstumssorgen um das Reich der Mitte aufkeimen lassen und einen Kursrutsch an den dortigen Börsen verursacht. Die aktuelle Entwicklung erinnert stark an die Turbulenzen im Sommer letzten Jahres, als schwächere Konjunkturindikatoren wochenlang zu Ausverkäufen an den chinesischen Aktienmärkten geführt haben. Weltweit wurden die Befürchtungen geschürt, der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft stünde ein massiver Wachstumseinbruch bevor. Damals schon haben wir an dieser Stelle davor gewarnt, die hochvolatilen chinesischen Aktienindizes als Konjunkturbarometer misszuverstehen. Weder taugten die Aktienmärkte in der Vergangenheit als Frühindikatoren für das Wirtschaftswachstum noch gingen vom ständigen Auf und Ab der Börse nennenswerte Effekte für die chinesische Wirtschaft aus. Wir plädieren deshalb auch jetzt dafür, die Konjunktur losgelöst von der Börsenentwicklung zu analysieren.
Die zuletzt veröffentlichten Konjunkturindikatoren haben zwar einige Enttäuschungen mit sich gebracht, zeichnen insgesamt aber ein gemischtes und sicherlich noch kein beunruhigendes Bild der chinesichen Wirtschaft. Mit 48,4 Punkten im Berichtsmonat enttäuschte der Einkaufsmanagerindex für die Industrie zwar die Erwartungen, gleichzeitig jedoch blicken die Unternehmen des Dienstleistungssektors mit 52,4 Punkten wieder zunehmend optimistisch in die Zukunft (Abb. 2). Die Dienstleister scheinen das Stimmungstief zum Jahreswechsel inzwischen überwunden zu haben. In Summe reihen sich die nun vorliegenden Zahlen nahtlos in das Bild, dass sich Chinas Wirtschaft in einem fundamentalen Umbruch befindet. Die Bedeutung des industriellen Sektors, der bislang fast 50% zur Wirtschaftsleistung beisteuerte, soll zurückgefahren werden. Dies zeigt sich längst in den Wachstumszahlen der Industrie, die sich in den letzten Jahren mehr als halbiert haben. Dass darunter auch die Stimmung in diesem Segment leidet, ist nachvollziehbar. Der Dienstleistungsbereich soll dagegen deutlich gestärkt und zum Träger des Wachstums werden. Unterm Strich schlägt sich dieser Strukturwandel in einem nachlassenden gesamtwirtschaftlichen Wachstum nieder - ein Trend, der sich sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr fortsetzen dürfte. Natürlich stellt der Umbau der Wirtschaft, weg vom verarbeitenden Gewerbe, hin zu mehr Dienstleistungen und Konsum, die Volksrepublik vor große Herausforderungen. Gleiches gilt für die Gesamtverschuldung, die nach der Finanzkrise 2008 erheblich angestiegen ist. Nichtsdestotrotz darf nicht übersehen werden, dass die Regierung in Peking ihre zuvor eher restriktive Fiskalpolitik zuletzt gelockert hat und die Geldpolitik in den vergangenen Monaten deutlich expansiver wurde. Auch die Abwertung der Landeswährung Yuan, die die Märkte derzeit in Aufregung versetzt, macht aus wirtschaftlicher Sicht Sinn und dürfte dem Außenhandel etwas mehr Schwung verleihen. Einen Einbruch der Wirtschaftsleistung auf nur noch 2 bis 3%, wie ihn einige skeptische Beobachter für möglich halten, ist aus unserer Sicht wenig wahrscheinlich.
Davon unberührt bleibt unsere Kernthese, wonach sich Chinas Wachstum in den kommenden Jahren strukturell weiter abschwächen wird. Allerdings erwarten wir eben keinen dramatischen Wachstumseinbruch, sondern eine graduelle Wachstumsverlangsamung. So dürfte China in diesem Jahr mit rund 6,5% expandieren, 2015 stand in der BIP-Statistik noch ein Plus von 6,9% zu Buche. Dieser Normalisierungseffekt sinkender Wachstumsraten im Reich der Mitte wird von Investoren unseres Erachtens derzeit überbewertet. Schließlich sprechen wir auch bei Niveaus jenseits von 6% von hohen Zuwachsraten der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Und in absoluter Größenordnung übertreffen diese im Moment einstelligen Zuwächse aufgrund der inzwischen erreichten Größe der chinesischen Wirtschaft die zweistelligen Raten vergangener Jahre. Unser Fazit: Historisch betrachtet ist das Wachstum in China zwar niedrig und wird auf absehbare Zeit tendenziell weiter zurückgehen. Derzeit spricht dennoch nichts dafür, dass ein konjunktureller Einbruch, ein "hard landing" oder eine Rezession bevorstehen könnte.