Freitag, 26. Juli 2019 - Der geldpolitische Rat der Europäischen Zentralbank hat fürs erste die europäischen Leitzinsen unverändert belassen. Zugleich stellten die Zentralbanker aber eine Zinssenkung in Aussicht und wollen Optionen für eine Wiederaufnahme der Nettoanleihekäufe prüfen. Auch Maßnahmen zur Milderung der Auswirkungen negativer Zinsen für Banken sollen eingeführt werden, darunter ein System abgestufter Einlagenzinsen. Ihre „Forward Guidance“ für die Zinsentwicklung passte die EZB dahingehend an, dass der Leitzins nun mindestens über die erste Hälfte des Jahres 2020 und in jedem Fall so lange wie nötig auf seinem aktuellen oder einem niedrigerem Niveau bleiben werde; bisher gingen die Notenbanker von gleichbleibend niedrigen Zinsen über diesen Zeitraum aus. Auch das Eingeständnis, dass die Inflationsraten im Euroraum zu niedrig seien und sich der Ausblick insbesondere für den Industriesektor weiter verschlechtere, findet sich im EZB-Communiqué.
Die jüngsten Wirtschaftsdaten bilden einen passenden Hintergrund für die taubenhafte Positionierung der EZB-Notenbanker: so zeigen die jüngsten Stimmungsindikatoren (Einkaufsmanagerindizes Juli Verarbeitendes Gewerbe: 46,4; Dienstleistungen: 53,3) die fortgesetzt schwache Tendenz insbesondere des Industriesektors auf und auch die deutschen Daten entsprechen mit einem schwachen ifo-Geschäftsklimaindex (Juli: 95,7) dieser Einschätzung.
Angesichts der eher unspektakulären Nachrichten von der Quartalsberichtsfront setzt der US-amerikanische Aktienmarkt seine Aufwärtsbewegung fort, wie von uns erwartet jedoch mit vermindertem Tempo. Zuletzt positive Meldungen zu den amerikanisch-chinesischen Handelsgesprächen hinterlassen hier sicherlich ebenfalls ihre Spuren und begünstigen die Bildung neuer Indexhöchststände. In Europa öffnen die Erwartungen einer weiteren geldpolitischen Lockerung durch die EZB die Tür für steigende Kurse.
US-Geldpolitik richtungsweisend
In der kommenden Woche dürfte sich das Hauptaugenmerk der Anleger auf die anstehende Sitzung der US-Notenbank Fed richten. Ein halbes Jahr nach der letzten Zinserhöhung gilt nun die erste Zinssenkung seit mehr als 10 Jahren unter Beobachtern und auf Basis der Markterwartungen als sicher. Mit einer im Markt kolportierten Wahrscheinlichkeit von gut 80% gilt ein Zinssenkungsschritt um 25 Basispunkte (bp) fast schon als ausgemachte Sache, eine Senkung um 50 bp ist dabei jedoch auch noch nicht ganz vom Tisch. Die Notenbanker dürften die geldpolitische Neuausrichtung vor allem als vorbeugende Maßnahme gegenüber weltwirtschaftlichen Risiken (Handelskonflikte, Wachstumsschwäche in wichtigen Regionen) begründen. Eine Rolle dürfte aber auch das moderate Wachstum (die Daten für das 2. Quartal werden heute Nachmittag veröffentlicht, wir gehen von einer BIP-Wachstumsrate von ca. 2% ggü. Vorjahr, annualisiert, aus) sowie die anhaltende Unterschreitung des 2%-Inflationsziels spielen.
Vor diesem Hintergrund erwarten wir wie ein Großteil der Marktakteure am 31.7. eine Zinssenkung um 25 bp sowie die Bereitschaft der Fed für zusätzliche Maßnahmen bei Bedarf; unter den gegebenen Voraussetzungen (noch immer robustes Wachstum, überzeugende Arbeitsmarktdaten) dürfte es bis zum Jahresende nur einen weiteren Zinsschritt geben, mehr nur, sollte es zu einer deutlichen Verschlechterung der Ausgangslage kommen. Aggressivere Markterwartungen könnten somit gegebenenfalls zu (kurzfristiger) Enttäuschung an den Finanzmärkten führen; vorübergehend sinkende Kurse insbesondere an den US-amerikanischen Aktien- und Anleihemärkten wären dann nicht ausgeschlossen.
Die deutlich dovishere Einschätzung der US-Notenbanker fand ihr Spiegelbild schon in der bereits genannten EZB-Geldpolitik und dürfte auch richtungsweisend für die beiden anderen zentralen Notenbanken Bank of Japan und Bank of England sein, die ebenfalls in der nächsten Woche ihre geldpolitische Ausrichtung diskutieren.
Brexit – Folge 1127: Ende mit Schrecken?
Mit einer Mehrheit von 66% wurde Boris Johnson erwartungsgemäß zum Parteichef der Konservativen (Tories) gewählt und damit gleichzeitig zum Premierminister Großbritanniens ernannt. Er übernimmt somit auch die Aufgabe, die Brexit-Story fortzusetzen, an der Theresa May gescheitert ist. Laut eigenen Aussagen will Johnson die Briten bis spätestens zum 31.10. aus der EU führen, auch einen Austritt ohne Vertragsabschluss würde der Brexit-Hardliner in Kauf nehmen. Es bleibt zu bezweifeln, dass es ihm gelingt, dass tief gespaltene britische Parlament hinter sich zu versammeln und Mehrheiten zu erlangen. Von einem EU-Austritt der Briten mit oder ohne Vertrag zum 31.10., einem (erneuten) Misstrauensvotum gegen den amtierenden Premierminister bis hin zu Neuwahlen (bei denen die Tories wohl nicht gut abschneiden würden) und einer (erneuten) Verschiebung des Austrittstermins scheint erst einmal alles möglich. Angesichts der endlosen Brexit-Geschichte gerät die britische Wirtschaft zuletzt unter Druck: im zweiten Quartal ist das BIP wohl um 0,1% im Quartalsvergleich geschrumpft, für das Gesamtjahr 2019 wird nur ein schwaches Wachstum von 1,3% (ggü. Vorjahr) erwartet. Dieser Entwicklung stemmen sich die exportorientierten Aktienunternehmen des FTSE 100 bisher erfolgreich entgegen; Unterstützung erhalten sie hier nicht zuletzt von der volatilen, tendenziell wohl weiterhin schwachen Entwicklung der britischen Währung. Seit Anfang Mai beträgt der Verlust des Pfunds gegenüber dem Euro fast 4%.
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