Die Reaktionen auf die Entscheidung Washingtons hat den Barrelpreis auf unter 47 US-Dollar abrutschen lassen und damit das allgemein angenommene Szenario eines allmählichen Anstiegs des Barrelpreises auf rund 60 US-Dollar in Frage gestellt. Dies führt nun in der Finanzwelt zu einer Debatte mit vielen offenen Fragezeichen bezüglich der Folgen einer nachhaltigen Preisschwäche des schwarzen Goldes für die Kapitalrendite in diesem Sektor.
Kann das aggressive Auftreten der Schiefergas- und Schieferölproduzenten, deren Gewinne einen steigenden Anteil an der Rentabilität der amerikanischen Unternehmen haben, die Terminkurse für Öl dauerhaft belasten? Wird es der Opec und Russland gelingen, gemeinsam neue Abkommen zur Drosselung ihrer jeweiligen Fördermengen auszuhandeln und umzusetzen? Welches Preisniveau werden die neuen erneuerbaren Energielösungen haben, und welchen Marktanteil werden sie erringen? Kann Gas (insbesondere LNG) das Maximum der Erdölnachfrage (das heutige Schätzungen in den 2030er Jahren verorten) hinauszögern und die weitere Wertschöpfung in diesem Sektor gewährleisten? Bedeuten Energieeffizienz und der Boom der Elektrofahrzeuge (die in den kommenden Jahrzehnten Schätzungen zufolge 10 % des Fahrzeugbestands darstellen werden) das sichere Ende klassischer Kraftstoffe? Wird Tesla seinen anvisierten Produktionsrhythmus von 500.000 Fahrzeugen im Jahr erreichen? Auf all diese Fragestellungen in wenigen Zeilen eine Antwort zu geben, wäre anmaßend. Zumal es wahrscheinlich nicht die eine Antwort gibt, sondern höchstens verschiedene Hypothesen aufgestellt werden könnten. Berücksichtigt das Bewertungsniveau dieses Sektors (KGV 2018 von 13,3x und eine Nettorendite 2017 von 5,4 % in Europa), das unvermeidlich das Interesse der Value-Anleger weckt, bereits einen Teil dieser Risiken, und wenn ja, in welchem Maß? Die großen Ölfirmen waren es lange Zeit gewohnt, überdimensionierte Ausgaben für Projekte mit langem Zeithorizont und einer unberechenbaren Rentabilität zu tätigen – diese wird durch die kurzlebigen Zyklen und hohe Volatilität des Preises dieses Rohstoffs geschmälert. Nun werden diese Unternehmen ihre Angebotspalette neu zuschneiden müssen (Diversifizierung mit anderen Energieformen, vertikale Integration, Politik des externen Wachstums etc.).
Erhebliche Produktivitätsschübe konnten bereits erzielt werden, und auch eine gewisse Zurückhaltung in Bezug auf Investitionen in allzu komplexe Projekte ist zu begrüßen. Kurz: Die Mineralölkonzerne, die sowohl aufgrund ihrer Größe als auch aufgrund ihrer Börsenkapitalisierung ein Jahrhundert lang die dominierende Industrie des modernen Kapitalismus dargestellt haben, werden ihre Kapitalzuweisung überdenken müssen. Ganz wie der Privatanleger, für den es heute gilt, einen Teil seines ersparten Kapitals in neue Lösungen zu investieren, die im Vergleich zur klassischen Anleihe mit stetiger Verzinsung kürzere Reaktionszeiten und eine überlegene Performance aufweisen.