11.09.2023 - Prof. Dr. Dr. h.c. Lars Feld, ehemaliges Mitglied und Vorsitzender im Rat der Wirtschaftsweisen und zurzeit unter anderem Direktor des Walter Eucken Instituts sowie ehrenamtlicher Berater des Bundesfinanzministers, bereichert jeden Monat den ACATIS Investmentbericht mit einem Kommentar zu einem aktuellen Thema aus der Wirtschaft (Bericht zur Lage der Wirtschaft):
Resilienz und Ordnungspolitik
Sie ist zu einem Modewort geworden: Die Resilienz des Wirtschaftssystems. Seinen Aufschwung nahm dieses Wort in der Corona-Krise, als die Störung von Lieferketten die Produktionsbedingungen angebotsseitig verschlechterte. Rasch waren politische Vorschläge auf dem Tisch, wie dies zukünftig zu verhindern sei: Durch Reshoring – eine Rückholung von kritischer Produktion und kritischen Produkten nach Deutschland, allenfalls noch in die Europäische Union.
Manch eine der heute viel diskutierten politischen Maßnahmen hat seinen Ursprung in der damaligen Debatte, ob es die Subventionierung von Mikrochips oder Batteriezellen ist. Zusätzliche Resonanz haben solche Unterfangen durch den Wunsch der Politik, stärker industriepolitisch aktiv zu sein.
Resilienz ist ein Konzept, das man in der psychomedizinischen Forschung, in der Ökologie oder in den Materialwissenschaften schon lange kennt. Trotz ihrer großen Verschiedenheit ist ihnen gemeinsam, dass es jedes Mal ein externer Schock ist, der auf ein System trifft und eine Reaktion dieses Systems erfordert. Resilient ist das System, wenn es den Schock gut bewältigt, nicht nur absorbiert, sondern sogar für sich zu nutzen weiß.
Im Unterschied zur Robustheit gehört eine gewisse Beweglichkeit zur Resilienz: Eine Eiche ist robust, sie widersteht den Stürmen, bis irgendein Orkan eine Stärke erreicht, die sie bricht. Eine Weide wiegt sich in allen Sturmstärken und kehrt in der Regel in ihren Wachstumsprozess zurück, von abgestorbenen Zweigen und Ästen befreit. Psychomedizinisch beschreibt Resilienz den Umgang eines Menschen mit Krisen und wie er oder sie aus diesen hervorgeht. Ökosysteme sind resilient, wenn sie mit Stress, etwa Extremwetterereignissen, erfolgreich umgehen.
Resilienz ist ökonomisch interessant, weil Schocks insbesondere gesamtwirtschaftlich eine große Rolle spielen.
Konjunkturschwankungen sind üblicherweise das Ergebnis von Schocks. Insbesondere in seinen krisenhaften Ausprägungen stellt sich die Frage nach der Fähigkeit eines Wirtschaftssystems, mit solchen Krisen umzugehen. Die Weltwirtschaftskrise war die letzte große Finanzkrise vor der Banken- und Finanzkrise von 2008/ 2009. Der wirtschaftspolitische Umgang mit dem Schock in der Weltwirtschaftskrise verstärkte die Krise und führte so zu Massenarbeitslosigkeit – mit den bekannten politischen Folgen für Deutschland und die Welt.
Die Resilienz eines Wirtschaftssystems ist somit zunächst eine Funktion der Fähigkeit, mit Krisen umzugehen. Vergleichsweise einfach ist es für den Staat in Situationen wie der Finanzkrise oder der Corona-Krise: Eine expansive Geld- und Finanzpolitik ist in der Lage, einen Schock aufzufangen.
Zumeist zeigt sich in den folgenden Entwicklungen aber, ob diese Maßnahmen nachhaltig sind. Der Anstieg der Staatsverschuldung in der Finanzkrise war nicht für alle Staaten gleich gut verkraftbar. Die hoch verschuldeten Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion gerieten im Anschluss in eine Schuldenkrise. Die Finanz- und Wirtschaftspolitik in der Corona-Krise dauerte zu lange an und lieferte so ihren Beitrag zur Inflationsentwicklung.
Entscheidend für die Resilienz eines Wirtschaftssystems sind somit ihre strukturellen Grundbedingungen.
Was bedeutet dies konkret?
Reaktionsflexibilität erfordert flexible Märkte. Dies gilt für den Arbeitsmarkt, weil sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf neue Bedingungen, auf einen Strukturwandel, möglichst gut einstellen können müssen. Voraussetzung dafür ist Bildung, insbesondere betriebsunspezifisches Humankapital, das in anderen Unternehmen einsetzbar ist.
Flexibilität gilt für die Gütermärkte und wird durch eine hohe Wettbewerbsintensität gefördert. Zugleich müssen Unternehmen gute Voraussetzungen für Innovationen haben. Staatliche Regulierungen sind besonders schädlich. Eine hohe Wettbewerbsintensität erfordert international offene Märkte. Reshoring ist die falsche Reaktion, es braucht internationale Diversifikation.
Auf der Finanzierungsseite zeichnet sich ein resilientes System durch eine solide Eigenkapitalbasis von Unternehmen und eine relativ geringe Staatsverschuldung, genauer: durch tragfähige öffentliche Finanzen, aus. Eigenkapitalvorschriften für Banken oder Fiskalregeln sind Beispiele für resilienzstärkende Institutionen.
Liest man diese beispielhafte Aufzählung durch, so wird deutlich, wie eine Wirtschaftspolitik zur Stärkung der Resilienz aussehen muss: Sie muss Ordnungspolitik sein.