04.01.2023
- Das Konsumverhalten im Jahr 2022 war erstaunlich robust.
- Es wurde von den Überschussersparnissen aus der COVID-19-Pandemie und einem starken Arbeitsmarkt gestützt. Beide Faktoren kommen jedoch ins Wanken.
- Trotz allem scheint der Aktienmarkt nur das Szenario einer milden Rezession zu berücksichtigen.
Konsumenten gelten, insbesondere in den USA, als ökonomisches Rückgrat. Ein Blick auf das US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) bestätigt diesen Ruf, denn mit 70 Prozent stemmen sie den Löwenanteil der Wirtschaftsleistung. Die Verfassung des Verbrauchers gibt also einen guten Einblick in den ökonomischen Gesundheitszustand einer Volkswirtschaft. Angesichts der doppelten Belastung durch höhere Preise, beispielsweise für Lebensmittel und Benzin, und höhere Zinsen, etwa auf Hypotheken, war der Stress für Konsumenten im Jahr 2022 so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Trotz dieser Querelen zeigten sich die Konsumenten im letzten Jahr erstaunlich robust.
Zwar sank das US-BIP im ersten und zweiten Quartal und qualifizierte sich, der Daumenregel folgend, als Rezession; offiziell gab es diese jedoch nicht. Damit war die Verwirrung einigermaßen groß. Das zeigten unter anderem die Suchanfragen in Google zum Begriff „Rezession“, die Ende Juli, nach der Veröffentlichung der BIP-Erstschätzung für das zweite Quartal, hochgeschossen sind. Eine grobe Daumenregel reicht also nicht; hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. Deutungshoheit bei der Rezessionsfrage genießt das National Bureau of Economic Research (NBER). Das NBER verweist darauf, dass die Zusammensetzung des BIPs (neben weiteren Faktoren, wie dem Arbeitsmarkt) eine Rolle spielt. Tatsächlich war das negative Wachstum im ersten Quartal durch ein Handelsdefizit und das negative Wachstum des zweiten Quartals im Wesentlichen durch den Rückgang der Lagerbestände bedingt. Die Konsumausgaben stiegen hingegen über das gesamte Jahr weiterhin robust.
Das widrige Umfeld im Jahr 2022 hatte anderes erwarten lassen. Für die Konsumstärke waren zum einen die Überschussersparnisse, die im Zuge der COVID-19-Krise entstanden sind, verantwortlich. Sie wirkten als Puffer. Durch die Kombination aus staatlichen Transferleistungen und geringeren Ausgaben während der Pandemieeinschränkungen war die Sparrate der US-Bevölkerung deutlich gestiegen. Die US-Notenbank Fed schätzt, dass in den Jahren 2020 und 2021 kumuliert 2,3 Bln. USD zusätzlich gespart wurden. Zum anderen stützte der starke Arbeitsmarkt das Konsumwachstum. Per Jahresende lag die Arbeitslosenquote mit 3,7 Prozent immer noch nahe dem historischen Tief vergangener Jahrzehnte. Die überwältigende Mehrheit der Erwerbsbevölkerung ist also noch in Lohn und Brot.
Allerdings bröckeln beide Faktoren. Die Überschussersparnisse aus Pandemiezeiten werden seit dem dritten Quartal 2021 graduell abgebaut. Diese abnehmenden Überschüsse und die ökonomische Unsicherheit beeinträchtigen die Konsumstimmung. Die Bereitschaft, langlebige Haushaltsgüter anzuschaffen, ist laut Konsumentenumfrage der University of Michigan zuletzt auf historische Tiefstände gefallen. Gleiches gilt für die Anschaffung anderer diskretionärer Güter. Aber auch bei der Versorgung mit Alltäglichem zeichnen sich Probleme ab. In der letzten Haushaltsumfrage des US-Zensus gaben rund 40 Prozent der Befragten an, dass sie Schwierigkeiten hätten, ihre gewöhnlichen Haushaltsausgaben zu stemmen. Hier zeichnet sich der Druck auf die niedrigen Einkommensquartile ab, die umgangssprachlich „von der Hand in den Mund leben“ und besonders unter sinkenden Reallöhnen leiden. Gleichzeitig dreht der Arbeitsmarkt. Die Anekdoten zu Einstellungsstopps und Entlassungen kommen zwar überwiegend aus der Tech-Branche, sie finden aber in der Breite statt. Vorlaufende Arbeitsmarktindikatoren, zum Beispiel die Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung, bestätigen diese Tendenz. Das wird zusätzlichen Druck auf das Ausgabeverhalten der Konsumenten ausüben.
Der positive Beitrag, den die Konsumausgaben 2022 noch zum BIP geleistet haben, scheint 2023 also auf der Kippe zu stehen. Und mit einem drehenden Arbeitsmarkt steht dann auch der Rezession nichts mehr im Wege. Oder? Die Inversion der Zinskurve zeigt jedenfalls, dass die Teilnehmer des Anleihenmarktes einen ökonomischen Abschwung für wahrscheinlich halten. Der Aktienmarkt, auf der anderen Seite, hat zwar 2022 schon viele Federn gelassen, wodurch sich die Bewertungen einigermaßen normalisiert haben; eine Gewinnrezession auf Unternehmensseite würde aber weiteren Tribut fordern. Obwohl die Rezession in aller Munde ist, scheint der Aktienmarkt, der die realwirtschaftliche Entwicklung vorwegnimmt, nur einen relativ milden Abschwung zu berücksichtigen. Konsument: Quo vadis?