12.09.2022 - Nun ist es so weit. Putin liefert kein Gas mehr nach Deutschland. Die Bundesnetzagentur, die Regulierungsbehörde für Strom und Gas, schätzt die aktuelle Situation als angespannt, aber stabil ein. Aufgrund hoher Speicherfüllstände (86%; Stand: 04.09.2022) und Fortschritten bei der Schaffung von Anlandekapazitäten für Flüssiggas sei man nun besser vorbereitet als im Frühjahr. Trotzdem bleibt es sehr wichtig, dass Industrie und private Haushalte Gas sparen, um gut über die nächsten Winter zu kommen.
Die Speicherkapazitäten sind relativ zum Verbrauch eher klein. Gas zu sparen ist also der größere Hebel. Laut Bundeswirtschaftsministerium müssen mindestens 20% eingespart werden. Unter der Annahme, dass die Speicher Anfang November das Füllstandsziel von 95% erreichen, Russland kein Gas mehr liefert und der Winter nicht besonders kalt wird, wären die Gasvorräte bei einem im Vergleich zum Vorjahr ähnlichen Verbrauch bereits im Februar erschöpft. Würde 20% weniger Gas verbraucht, wären die Speicher Ende März noch zu gut einem Fünftel gefüllt.
Wie viel wird also bereits gespart? Leider noch nicht genug. Die gute Nachricht ist, dass die Industrie im Juli ihren Gasverbrauch um 21% relativ zu Vorjahresdurchschnitten senken konnte. Die privaten Haushalte leider noch nicht. 2022 wurde bisher 12% weniger Gas als im Vorjahr verbraucht, im Juli wurde zum ersten Mal aber wieder mehr konsumiert als im Vorjahr. Es sind also noch zusätzliche Anstrengungen nötig, um eine mögliche Gasmangellage zu vermeiden.
Merit Order – Das teuerste Kraftwerk bestimmt den Preis
Auch wenn es wahrscheinlich keine Mangellage geben wird, die fehlenden russischen Liefermengen treiben die Preise für Gas nach oben und ziehen die Strompreise mit. Der Spotpreis für Gas ist 12-mal und für Strom 8-mal höher als zu Beginn des Jahres 2021.
Der Strompreis wird, wie in anderen Märkten auch (z.B. Markt für Öl oder Kupfer) über das Merit Order-System gebildet. Jeder Stromproduzent bietet seinen Strom so an, dass seine Kosten gedeckt sind. Alle Anbieter werden bedient, bis die Nachfrage befriedigt ist. Der Preis an der Strombörse richtet sich nach den Kosten des teuersten Kraftwerks und gilt für alle Stromanbieter. Da die Hälfte der Atomkraftwerke in Frankreich ausfällt und deutsche Kohlekraftwerke aufgrund des niedrigen Wasserstands der Flüsse nur eingeschränkt versorgt werden können, müssen schnell hochzufahrende, aber teure Gaskraftwerke diesen Ausfall kompensieren. Deren Produktionskosten ziehen angesichts sehr hoher Gaspreise den Strompreis insgesamt nach oben. Für die Wintermonate scheint keine Entlastung in Sicht, vor allem wenn das französische Atomproblem anhält, die Stauseen in Skandinavien und in den Alpen aufgrund der Dürre nicht voll sind sowie die deutsche Stromnachfrage durch die Verwendung von Heizlüftern statt Gasheizungen ansteigt. Stromproduzenten mit niedrigeren Produktionskosten (z.B. mit Solar-, Wind-, Atomkraft, Biomasse, Kohle) erzielen so exorbitante Gewinne, während Verbraucher sehr hohe Preise bezahlen. Kein Wunder also, dass die europäischen Staaten umfangreiche Unterstützungspakete schnüren und Markteingriffe diskutieren ...
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Autor: Thomas Schober, Macro Strategist , ODDO BHF PWM