04.07.2022 - Die Menschen machen sich aus gutem Grund Sorgen über eine weltweite Rezession. Was aber, wenn die Faktoren, die zu steigenden Preisen führen, sich der Kontrolle der politischen Entscheidungsträger entziehen?
Lebensstandard unter Druck
Einen derart immensen Druck auf den Lebensstandard haben wir schon lange nicht mehr erlebt. Die Realeinkommen sinken in einer Weise, wie sie es seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, als die Inflation sehr hoch war, oder Anfang der 80er Jahre, als wir einen wirklich großen Ölschock hatten, nicht mehr getan haben.
In den 1970er Jahren stiegen die Fleischpreise allein in einem Jahr um 25 %, während die Preise für Milch und Milcherzeugnisse um fast 22 % in die Höhe schossen. Getrieben von Krieg, einer lockeren Geldpolitik und Energieversorgungsproblemen erreichte die Inflation in den 1970er Jahren ihren Höhepunkt bei 22 %.
Aktuell trägt ein Ölschock zur Belastung der Haushalte bei: Die Energiepreise sind in den meisten Teilen der Welt um mehr als 40 % gestiegen. Doch es geht darüber hinaus, denn auch die Lebensmittelpreise steigen, und zwar im hohen einstelligen oder niedrigen zweistelligen Prozentbereich. Hinzu kommt eine Teuerung bei einer Reihe von Waren.
Verglichen mit unserer jüngeren Geschichte, als die Inflation etwa eineinhalb bis zwei Prozent betrug, ist das also ein ziemlich umfangreicher Anstieg. Die Haushalte spüren den Druck auf allen Seiten.
Wenn sich die Dinge schlecht anfühlen, dann deshalb, weil sie es sind
Der „Misery Index“, ein Wirtschaftsindikator, der Aufschluss darüber gibt, wie es dem Durchschnittsbürger wirtschaftlich geht, liegt derzeit unter den obersten 20 % der Messwerte seit fast 50 Jahren.
Wir befinden uns effektiv im Frühstadium einer wirtschaftlichen Abschwächung. Wenn Sie nach Anzeichen dafür suchen, schauen Sie auf den Wohnungsmarkt. Hier lassen sich die Auswirkungen hoher Hypothekenzinsen beobachten, die den Wohnungsmarkt allmählich bremsen.
Einzelhändler versuchen, schrittweise Einsparungen vorzunehmen. Sie führen billigere Produktlinien ein, damit die Leute weiterhin konsumieren können, aber nicht ganz so viel ausgeben müssen.
Im weiteren Verlauf werden die Menschen angesichts eines rückläufigen Lebensstandards ihr Ausgabeverhalten anpassen. Wir werden wahrscheinlich viel mehr Hinweise auf schwächere Verbraucherausgaben sehen, insbesondere bei den Einzelhandelsumsätzen. Dies wird der zweite Sektor sein, der fällt, nachdem sich der Immobilienmarkt verlangsamt hat.
Können Zentralbanker etwas tun?
Die Währungshüter hinken mittlerweile der Kurve hinterher. Es herrschte große Unsicherheit, und die Notenbanker waren wohl der Meinung, dass man die Zügel lieber nicht zu früh anziehen sollte. Hätten sie damit falsch gelegen, wäre die Wirtschaft wirklich hart getroffen worden.
Hätten sie jedoch früher reagiert, dann wären Inflation oder Löhne vielleicht nicht derart stark gestiegen – und die Wirtschaft würde sich jetzt langsamer abkühlen. Nun gehen sie aber etwas aggressiver vor, mit einer stärkeren Abschwächung als Folge.
Die Währungshüter waren schnell dabei, äußere Einflüsse für die Teuerung der Lebenshaltungskosten verantwortlich zu machen, wie etwa den Krieg in der Ukraine. Liegt es außerhalb der Macht der Zentralbanker, die steigenden Kosten zu dämpfen?
Ich glaube nicht. Etwa 80 % des Verbraucherpreisindex (VPI) entfallen nicht auf Öl oder Lebensmittel. Die Zentralbanken sollten sich also auf den Rest des Warenkorbs konzentrieren, das heißt nicht auf Lebensmittel und Öl, und ihre Geldpolitik straffen, um den Preisanstieg bei diesen beiden Komponenten auszugleichen und die Inflation zu senken.
Was können Regierungen tun, um zu helfen?
Regierungen können helfen, indem sie Maßnahmen ergreifen, die bei den Wählern möglicherweise unbeliebt sind, wie z. B. Steuererhöhungen, das Festschreiben von Einkommensgrenzen und fiskalpolitische Einsparungen. Damit ist ihr Instrumentarium aber auch schon fast ausgeschöpft. In den 1970er Jahren haben sie alle Arten von Einkommens- und Preispolitik ausprobiert, und keine davon hat wirklich funktioniert. Es liegt also an den Zentralbanken, das Richtige zu tun.
Steuern wir auf eine weltweite Rezession zu?
Die Wahrscheinlichkeit einer weltweiten Rezession gegen Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres ist ziemlich hoch – sie dürfte in der Größenordnung von 35 % liegen.
Die einzelnen Regionen weisen jedoch unterschiedliche Risiken auf. Zwar besteht in allen Ländern ein gewisses Inflationsrisiko – insbesondere in den USA und in Europa –, China beispielsweise hat jedoch wegen seiner Null-Covid-Politik ein großes Problem.
Das Land musste für deren Umsetzung einen Großteil der Wirtschaft herunterfahren. Wir gehen allerdings davon aus, dass China im weiteren Jahresverlauf diese Politik hinter sich lassen kann. Den Behörden ist es gelungen, Covid unter Kontrolle zu bringen, aber sie ergreifen zahlreiche weitere Maßnahmen, sodass noch ein weiter Weg zu gehen ist. Inzwischen ist die Wirtschaftstätigkeit sehr schwach und China trägt derzeit nicht viel zum globalen Wachstum bei.
Neben der Frage, wie die Inflation unter Kontrolle gebracht werden kann, diskutiert man in Europa auch, was mit der russischen Energie zu tun ist. So wurde ein teilweises Ölembargo vereinbart, das die europäische Industrie und Privathaushalte immens unter Druck setzen wird, da Teile Europas stark von russischer Energie abhängig sind. Deutschland und Italien beispielsweise beziehen ein Viertel ihrer Energie aus Russland. Ein Embargo könnte also zu einer verhältnismäßig starken Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit führen.
Beginnen die Anleger, eine Rezession einzupreisen?
Noch nicht, auch wenn sie allmählich recht ernsthaft darüber nachdenken. Deshalb konnten wir bei Aktien und Teilen der Kreditmärkte eine gewisse Schwäche beobachten.
Lesen Sie hier weitere Artikel von Keith Wade.
Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen stammen von dem Autor und stellen nicht notwendigerweise die in anderen Mitteilungen, Strategien oder Fonds von Schroders oder anderen Marktteilnehmern ausgedrückten oder aufgeführten Ansichten dar. Diese können sich ändern.