16.06.2022 -
Gesamtwirtschaftliches Umfeld
Die Inflationsraten steigen weiter und die Konjunkturaussichten trüben sich ein. Wird aus der Stagflation noch eine Rezession? Diese Frage stellt sich diesseits und jenseits des Atlantiks. Für die Devisenmarktakteure ist besonders wichtig, wie die Zentralbanken auf die missliche Situation reagieren. Ihnen muss der Spagat gelingen, den Preisauftrieb zu stoppen, ohne dabei die Konjunktur über Gebühr zu drosseln. So hängen die Wechselkurse einmal mehr an den Andeutungen und Entscheidungen der Währungshüter.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat vergangene Woche angekündigt, die Anleihekäufe zum 1. Juli einzustellen und die Leitzinsen auf ihrer Sitzung am 21. Juli um 25 Basispunkte anzuheben. Im September soll ein weiterer Schritt um 25 oder sogar 50 Basispunkte folgen. Auch wenn diese Zinsschritte kurzfristig weder die Inflationsraten senken noch die Konjunktur nennenswert beeinträchtigen werden, ist das Signal wichtig: Mit den steigenden Zinsen sollen die steigenden Inflationserwartungen der Wirtschaftsakteure eingehegt werden. Für Unsicherheit sorgte, dass Christine Lagarde bezüglich der EZB-Reaktion auf die sogenannte Marktfragmentierung (steigende Zinsdifferenzen in der Eurozone) hinter den Erwartungen zurückblieb und sich nur vage äußerte. Das Ende der Netto-Anleihekäufe führt zu der Frage, ob die hoch verschuldeten Länder bei steigenden Zinsen die daraus resultierenden Lasten noch stemmen können. Angesichts der rasant gestiegenen Zinsen (u.a. in Italien) ist die EZB zu einer außerplanmäßigen Sitzung zusammengekommen und hat die beschleunigte Entwicklung eines„Anti-Fragmentierungsinstruments“ betont.
Die US-Notenbank Fed hat den Leitzins um 75 Basispunkte auf 1,50–1,75 % erhöht. Die wenigsten Beobachter hatten einen solch großen Zinsschritt noch vor wenigen Wochen für denkbar gehalten. Auch für die kommenden geldpolitischen Sitzungen hat die Fed ein noch entschlosseneres Vorgehen gegen die Inflation angekündigt. Damit hat die Fed die EZB erneut in den Schatten gestellt. Die erst vergangene Woche angekündigte Zinswende der EZB wurde mit Blick auf den Euro-Dollar-Kurs pulverisiert.
Kurzfristig
Die jüngsten Ankündigungen der EZB bei der regulären Sitzung und der Ad-hoc Sitzung konnten dem Euro in Summe nicht helfen. Beide Tage schwächten den Euro. Am Tag der EZB-Sitzung vom 9. Juni notierte EUR/USD noch bei 1,0774 im Tageshoch und aktuell bei 1,0400. Die EZB bleibt bisher zu ungenau und macht einen zögerlichen Eindruck im Vergleich zu den anderen Zentralbanken der westlichen Welt. Die Fed zeigt sich aktiver und unterstützt damit die heimische Währung. Die EUR/USD-Bewegung nach unten wird beschleunigt. Der US-Dollar-Index hat jüngst mit einem Wert von über 105 einen 20-jährigen Höchststand erreicht. Ein klares Spiegelbild für die aktuelle Gemengelage von globaler wirtschaftlicher Unsicherheit durch Krieg und Inflation, Geldpolitik und der Suche nach sicheren Häfen. Auch die implizite Volatilität bleibt aufgrund der nicht weichen wollenden Unsicherheit auf erhöhten Levels.
Mittelfristig
Inflation, die globale wirtschaftliche Entwicklung und die Zinsdifferenzen zwischen den Währungsräumen werden mittelfristig die größten Treiber für die Wechselkurse sein. Die Inflation entwertet unser Geld, durch Zinsen können wir diese Entwertung ein Stück weit kompensieren. Das Geld wird sich den Weg dorthin suchen, wo dieses Verhältnis attraktiv und die wirtschaftliche Entwicklung stabil erscheinen. Aktuell ist es offensichtlich der US-Dollar. Erst wenn die EZB ihre Geldpolitik der Inflation anpasst, die Zinsen signifikant erhöht und die Zinsdifferenz zwischen den USA und der Eurozone nicht weiter auseinanderlaufen lässt, wird sich die Situation für den Euro entspannen. Bis Ende des Jahres erwartet der Markt einen Leitzins von 3,75 % in den USA und 1,25 % in der Eurozone. Sollte sich dieses Verhältnis zugunsten der Eurozone verändern, so wäre das positiv für den Euro zu werten. Mittelfristig spielt der Ukrainekrieg weiter eine Rolle. Aktuell sind zwar ausschließliche die wirtschaftlich Folgen am Devisenmarkt von Interesse. Sollte der Krieg weiter eskalieren, wird das Thema sehr schnell wieder zum Haupttreiber der Märkte.
Langfristig
Gemessen an seinem aktuell sehr schwachen Niveau hat der Euro Aufwertungspotenzial. Dafür muss die EZB aber nicht nur die geldpolitische Wende angehen – was sie ja inzwischen angekündigt hat –, sondern sie darf in Sachen Tempo und Entschlossenheit den übrigen Zentralbanken nicht hinterherhinken. Die EZB bleibt also weiter unter Zugzwang.
Autoren: Brian Knobloch, Moritz Paysen und Dr. Jörn Quitzau
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