09.05.2022 - Inzwischen scheinen immer mehr Ratsmitglieder der Europäischen Zentralbank (EZB) die Normalisierung der Geldpolitik beschleunigen zu wollen. Letzte Woche haben wir die Möglichkeit erwähnt, dass die erste EZB-Zinserhöhung im Juli erfolgen könnte - allerdings unter der Voraussetzung, dass in den kommenden zwei Monaten ein belastbarer Zustrom von Daten erfolgt. Das hielten wir nicht für wahrscheinlich. In Anbetracht der zahlreichen neuen Äußerungen der EZB gehen wir nun jedoch von dieser Möglichkeit aus und kehren die "Beweislast" um. Anstatt eine Zinserhöhung im Juli nur dann für wahrscheinlich zu halten, wenn die Daten im Mai und Juni gut ausfallen, sind wir nun der Meinung, dass die EZB nur bei äußerst schlechten Daten noch länger abwarten kann. Auch wenn wir den Zeitpunkt der Zinserhöhung vorverlegen, rechnen wir mit nur zwei Zinserhöhungen in diesem Jahr, gefolgt von einer langen Pause, sobald der Leitzins wieder bei Null liegt. Wir glauben nicht, dass der Euroraum in der zweiten Jahreshälfte einem viel härteren makroökonomischen Umfeld entgehen kann, was letztlich die Entscheidung der EZB erschweren wird.
Ein Hauptproblem ist unserer Ansicht nach, dass es noch keine Lösung für die Fragmentierungsrisiken im Euroraum gibt. Weder aufseiten der Zentralbank noch aufseiten der Regierungen durch eine Vertiefung der Vergemeinschaftung der Schulden. Mit Sorge betrachten wir die Ausweitung des Spreads für italienische Staatsanleihen und den Anstieg des absoluten Renditeniveaus in Italien. Auch wenn 3,1 Prozent Rendite für eine zehnjährige italienische Anleihe angesichts der Geschichte des dortigen Anleihemarktes nicht viel erscheinen mag, könnte der Anstieg der Finanzierungskosten der Regierung es schwieriger machen, auf eine weitere Verschlechterung der Wirtschaft zu reagieren. Insbesondere wenn die Großhandelspreise für Energie wieder anziehen und die EU ein neues Sanktionspaket schnürt.
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