04.11.2021 -
Wir schreiben den 1. Januar 2021: Das Jahr 2020 ist Geschichte, Donald Trump zwar abgewählt, aber offiziell noch im Amt und Deutschland befindet sich inmitten des zweiten Lockdowns. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Inflation in der Eurozone notiert bei -0,3 Prozent und niemand, wirklich niemand rechnet damit, dass die EZB in den nächsten Jahren auch nur in die Nähe von Diskussionen über höhere Leitzinsen kommen könnte. Wenn überhaupt, preist der Markt weitere Zinssenkungen.
Heute, ziemlich genau zehn Monate später ist die Welt eine komplett andere. Man kann mit Fug und Recht von einer 180-Grad-Wende sprechen, denn Anfang November 2021 ist die Inflation rund um den Globus so hoch wie seit sehr langer Zeit nicht mehr und die Anleger rechnen tatsächlich mit einer ersten Zinsanhebung seitens der EZB bereits im kommenden (!) Sommer.
Okay: Die Inflation ist hoch und sie wird aufgrund der Angebotsknappheiten wohl auch mindestens bis weit ins Jahr 2022 hoch bleiben. Und ja! Die Wahrscheinlichkeit von Zweitrundeneffekten auf den Arbeitsmärkten, die zu einer nahhaltig höheren Inflation führen könnten, ist deutlich erhöht. Es stimmt auch, dass mittel- bis langfristig Effekte bzw. Trends wie die Demographie, die Energiewende oder aber auch die Neuausrichtung der Globalisierung für eine Rückkehr von Inflationsraten sprechen, die diesen Namen verdienen.
Aber eine erste Zinsanhebung bereits im kommenden Sommer? Das erscheint doch äußerst unrealistisch zu sein. Vergessen wir nicht, dass Geldpolitik in aller Regel streng sequenziell – oder neudeutsch: mit einer Salamitaktik – vorgeht. Die EZB wird nach Lage der Dinge Ende März 2022 ihr PEP-Programm auslaufen lassen. Sie könnte dann bei einer unerwartet hohen Inflation auch durchaus geneigt sein, ihr „normales“ QE-Programm rasch – soll heißen im Jahresverlauf 2022 – auslaufen zu lassen. Allein dieser Prozess dürfte aber einige Monate in Anspruch nehmen. Ganz nebenbei müsste die EZB auch noch ihre „Forward Guidance“ auf links drehen. Schließlich hat EZB-Chefin Lagarde auf der letzten Sitzung im Oktober das Inflationsthema noch kleinzureden versucht und die Forward Guidance bekräftig. Und last but not least wollen Zinsanhebungen kommunikativ und mit ausreichend zeitlichem Vorlauf vorbereitet sein, damit sich der Markt nicht verschluckt.
Sollte die Inflation explodieren, wäre die EZB sicher zu ungewöhnlichen Maßnahmen bereit. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Inflationsraten zu Beginn des kommenden Jahres erst einmal wieder herunterkommen, sodass sich die EZB wieder etwas entspannter geben und vor allem auf ihre veränderte Strategie nach dem Abschluss ihres Strategic Reviews aus diesem Jahr verweisen könnte, die höhere Inflation explizit toleriert.
Kurzum: Steigende Zinsen im Jahr 2022 sind höchstens in den USA ein Thema. Was der Markt aktuell in punkto EZB-Zinspolitik preist, ist gelinde gesagt abenteuerlich!
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