05.07.2021 -
PUNICA Invest: Herr Orlowski, worüber machen Sie sich aktuell Gedanken, wenn Sie sich mit dem Themenfeld Infrastruktur beschäftigen?
Bodo Orlowski: Mich bewegt das Konjunkturprogramm, das die Amerikaner jüngst beschlossen haben. 950 Milliarden Dollar sollen insgesamt investiert werden – insbesondere für die Erneuerung von Straßen und Brücken, die Breitband-Versorgung sowie die Strom-Infrastruktur. Jeder, der einmal die USA besucht hat und mit offenen Augen abseits der touristischen Highlights unterwegs war weiß, wie dringend notwendig diese Gelder sind. Und jeder Börsianer kann sich ausmalen, was das für die Branchen bedeutet, die das Programm umsetzen werden.
PUNICA Invest: Schaut man sich die Wertentwicklung der vergangenen Wochen an, scheinen die Börsianer allerdings – um im Bild zu bleiben – die Buntstifte bei Infrastrukturtiteln noch nicht aus- oder bereits wieder eingepackt zu haben. Denn die Entwicklung vieler Titel der betroffenen Branchen war in den vergangenen Wochen wenig ermutigend.
Orlowski: Da haben Sie recht. Die Märkte beschäftigt zurzeit das Re-Opening. Die Profiteure eines zu Ende gehenden Lockdowns sind gefragt. Zudem werden in Erwartung perspektivisch steigender Zinsen Unternehmen mit hohem Finanzierungsbedarf abgestraft. Dazu gehören im Infrastrukturbereich vor allem diejenigen, die als Wachstumstitel gehandelt werden. Das reicht von den erneuerbaren Energien über Cloud-Dienste bis hin zu Zahlungsverkehrsanbietern.
PUNICA Invest: Beunruhigt Sie das?
Orlowski: Nein, Aktien sind und bleiben eine langfristige Geldanlage. Und gerade Infrastrukturtitel zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen langfristigen Beitrag für die wesentlichen Bedürfnisse einer modernen Gesellschaft leisten. Das passt für mich sehr gut zusammen. Gleichwohl will ich nicht verhehlen, dass ich mir gewünscht hätte, im Portfolio unseres Infrastrukturfonds den Anteil der Bau und Logistikbranche höher gewichtet zu haben. Aber es ist eben ein Themen- und kein Branchenfonds. Insofern hätte eine solche Zuspitzung dem Portfoliogedanken widersprochen.
PUNICA Invest: Ihre Definition von Infrastruktur scheint über das klassische Verständnis hinauszureichen, wenn Sie auch auf die Anbieter von Zahlungsverkehrs- und Cloud-Diensten verweisen.
Orlowski: Das ist richtig. Versorger, Transport und Telekommunikation – das war der übliche Dreiklang in den vergangenen zwanzig Jahren. Aber wenn man hinterfragt, was das Rückgrat einer modernen Gesellschaft ausmacht, dann rücken auch Krankenhäuser, Zahlungsverkehrsdienstleister, Bildungsanbieter oder Datenverarbeitungszentren in den Fokus.
PUNICA Invest: Sie sind mit Ihrem Fonds global unterwegs. Favorisieren Sie derzeit eine Region?
Orlowski: Als deutscher Asset-Manager läuft man Gefahr, einen Home Bias unterstellt zu bekommen, wenn man zu viel Hoffnungen auf Europa setzt. Aber tatsächlich haben wir hier auf dem alten Kontinent doch einigen Nachholbedarf in Sachen wirtschaftlicher Erholung. Und auch für die USA sehe ich – gerade aufgrund der Pläne Präsident Bidens – ab 2022 eine Sonderkonjunktur durch das Land rollen. Umgekehrt ist China gerade dabei, die „zu“ erfolgreichen Unternehmen zu gängeln, weswegen ich dort beispielsweise etwas auf die Bremse trete.
PUNICA Invest: Womit rechnen Sie auf Sicht der kommenden Monate?
Orlowski: Nachdem der Markt im Frühjahr ein neues Hoch nach dem anderen ausgetestet hat, ist meines Erachtens in mehrfacher Hinsicht zu viel Fantasie im Markt – gerade bei einzelnen Modethemen hängen die Erwartungen sehr, sehr hoch. Wenn dann die erste Notenbank das Tapering in den Mund nimmt, wenn erkennbar wird, dass die über zehn Jahre anhaltende Notenbank-Offensive zu einem Halt kommt – von einer Umkehr will ich noch gar nicht sprechen –, wird der Markt sich neu sortieren. Dann werden die belastbaren Geschäftsmodelle auf Feldern wie Energie oder Kommunikation voraussichtlich wieder mehr Interesse auf sich ziehen.
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