September 2020 - Im Jahr 2008 begann die deutsche Finanzagentur, in einer breit angelegten Werbekampagne mit einer Schildkröte als Finanzexperte für Bundesschatzbriefe zu werben. Manche erinnern sich vielleicht noch an die drollige Schildkröte Günther Schild, die deutschen Kleinanlegern eine Anlage in diesen Papieren schmackhaft machen sollte. In einem Werbespot sieht man die Schildkröte und den Finanzexperten in seinem repräsentativen Büro. Auf die Frage seiner imaginären Kunden, wie man denn aus seinem Geld mehr machen könne, antwortete Günther Schild mit folgenden Gegenfragen: „Soll es schnell gehen? Wollen Sie etwas riskieren? Möchten Sie Profit um jeden Preis? Sind sie ein Zocker?“. Wenn Sie dieses alles bejahen würden, dann, so der gepanzerte Finanzexperte, wären Bundeswertpapiere nichts für Sie. Allerdings konnten sich damals die von Günther Schild als „Schätzchen“ beworbenen Bundesschatzbriefe aufgrund des niedrigen Zinsniveaus keiner Beliebtheit bei Kleinanlegern erfreuen. Zum Jahresende 2012 stellte der deutsche Staat die Emission der Bundesschatzbriefe also wieder ein und so wurde auch die Werbekampagne mit der Schildkröte beendet. Sehr zum Leidwesen seiner Fans, die in ihrer Trauer sogar digitale Todesanzeigen für Günther Schild schalteten.
Das ist nun beinahe 10 Jahre her. Wie sieht es heute aus? Kleinanleger besitzen keine Bundeswertpapiere mehr, die Renditen sind über die ganze Kurve hinweg negativ. Aber mit negativ rentierlichen Anleihen Profite zu machen, ist doch eher was für Zocker, oder? Nicht unbedingt. Wer im Januar die neue 10-jährige deutsche Staatsanleihe mit einem Nuller-Kupon und mit einer Emissionsrendite von -0,25 % gekauft hat, verzeichnet heute einen attraktiven Kursgewinn. Die EZB, der Negativrenditen nichts anhaben können, da sie ihrerseits das Geld zu noch negativeren Renditen von den Banken zur Verfügung gestellt bekommt, ist mittlerweile mit mindestens 30 % aller Anleihen der größte Besitzer von Bundeswertpapieren. Dafür bedurfte es keiner weiteren Werbemaßnahmen des Bundes mit Günther Schild, und auch zukünftig wird die EZB im Rahmen ihrer Ankaufprogramme deutsche Staatsanleihen nachfragen.
Aktuell steigt die Schuldenaufnahme des deutschen Staates wieder deutlich an. Die Refinanzierung der Zusatzausgaben zur Überwindung des durch das Coronavirus bedingten Abschwungs fordert ihren Tribut. Bereits im März 2020 hat der deutsche Staat Mehrausgaben von EUR 122,5 Milliarden beschlossen und zudem um EUR 33,5 Milliarden geringere Steuereinnahmen geschätzt. Im Juni 2020 wurde ein zweiter Nachtragshaushalt beschlossen, der zusätzliche Ausgaben und die Erwartung noch stärker als erwartet sinkender Einnahmen reflektiert. Insgesamt wird die Nettokreditaufnahme in 2020 mit EUR 218,5 Milliarden veranschlagt.
Hierauf hat die deutsche Finanzagentur, die für die Emission von Staatsanleihen zuständig ist, reagiert. Bereits im zweiten Quartal 2020 wurden die laufenden Emissionen aufgestockt. Erstmalig wurden zudem 7- und 15-jährige Bundesanleihen emittiert. Für die kommenden Monate steht die Wiederaufnahme der Emission von inflationsindexierten Bundesanleihen, die zuletzt in 2015 begeben wurden, ins Haus. Darüber hinaus ist in diesem September die erstmalige Emission einer „grünen“ Bundesanleihe vorgesehen. Der zugehörige Rahmen, der die damit refinanzierten Projekte festlegt, die Dokumentationspflichten und die Kontrolle regelt, ist kürzlich veröffentlicht worden.
Investoren, die für ihre Investments ESG-Kriterien berücksichtigen, werden die „grünen“ Anleihen auch bei negativen Zinsen nachfragen. Und auch die inflationsindexierten Anleihen werden auf reißende Nachfrage stoßen, denn nicht wenige Investoren erwarten als Folge dieser umfangreichen fiskal- und geldpolitischen Unterstützungsprogramme eine Rückkehr der Inflation. Günther Schild wird für die Vermarktung dieser neuen Produkte also sicher nicht benötigt.
Wir bei ETHENEA werden nur in Sondersituationen in negativ rentierliche Anleihen investieren. Als Absicherung in Krisensituationen beispielsweise mag die Investition in Bundesanleihen sicherlich berechtigt sein. Dennoch unterscheidet sich unserer Meinung nach eine Investition in negativ rentierliche Anleihen nicht sehr vom Kauf teurer Tech-Aktien, denn ein weiterer Kursanstieg kann bei beiden niemals ausgeschlossen werden. Die potenziell inflationären Effekte der geld- und fiskalpolitischen Sonderprogramme werden wir in diesem Jahr jedenfalls noch nicht erleben. Aktuell dominiert eher die Sorge über eine zweite Coronawelle, die zu neuerlichen Nachfrageeinbrüchen (nach Gütern und Dienstleistungen) führen würde.
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